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Gesetz der Einfachheit

Wer kennt sie nicht, die oft bemühte Lebensweisheit: Weniger ist mehr. Was bei vielen Lebenssituationen gilt, ist auch in Gestaltungsfragen unbestritten.

Ralf TurtschiStilfragen sind in der Mode, im Industriedesign, in der Architektur, der Kunst oder der Fotografie einem stetigen Auf und Ab unterworfen. Was wir doch gestern erst als Nonplus­ultra empfunden haben, gilt heute als grottenhässlich. Erinnert sich jemand an die ersten Macintosh Plus? Das Design der beigefarbenen Kisten! Und die grobschlächtigen Tastaturen! Was haben wir damals diesen Dingen nachgegeifert.

Stilfragen treiben auch die Typografie-Interessierten um. Einer Phase der Strenge folgte immer wieder die Opulenz und umgekehrt. Auf den rankenverliebten Jugendstil folgte die Bauhauszeit mit ihrer Strenge und Funktionalität. Die heute noch in vielen Köpfen sitzende Schweizer Typografie bestand aus Helvetica, Futura, Akzidenz Grotesk – horizontal und vertikal. Der Bleisatz gab die Position und die Anordnung vor.

Erst in den 1990er-Jahren brachten Quereinsteiger mit dem Desktop Publishing die Regeln der gestandenen Typografen durcheinander. Dieser Ausflug in die Annalen zeigt, dass Gestaltung immer im Zusammenhang mit Geschichte gesehen werden muss. Mit anderen Worten: Man gewöhnt sich so schnell ans Schöne wie ans Hässliche. Schön und hässlich sind vergängliche Brüder. Zur eigenen Anschauung sollte man sich einfach alte Fotoalben ansehen, Frisuren und Brillen im Speziellen.

Visuelle Kommunikation besteht nun aber nicht nur aus bestimmten Modeströmungen, die kommen und gehen, sondern auch aus fundierten Gesetzmässigkeiten, die Bestand haben. Diese Gesetzmässigkeiten sind empirisch belegt, sie orientieren sich an der Funktionsweise des Sehens und blenden jegliche Wertung aus.

Wir Konsumenten neigen dazu, unsere subjektive Wertung über die objektive Wirkung zu stellen. Ein Beispiel: Blau ist eine als kalt, Rot eine als warm empfundene Farbe. Objektiv gesehen, also ohne Wertung, können dieser Aussage wohl die meisten Menschen zustimmen. Deswegen braucht Rot nicht allen zu gefallen, hier haben wir den wertenden Teil der Gestaltung. Wer gestaltet, muss sich zwingend mit den objektiven Gesetzmässigkeiten, also den Wirkungsweisen, auskennen, man sollte nicht einfach frei nach Lust und Laune loslegen.

Das Gesetz der Einfachheit

Dieses Gesetz sagt im Wesentlichen, dass einfache Formen, Farbzusammenstellungen, Schriften, Gestaltungen bevorzugt wahrgenommen werden. Wenn man in einer Zehntel­sekunde die im Kasten rechts vorgestellten Formen von Herz und Bananen vorgesetzt bekommt, wird man eben das Herz erkennen und die Bananen nicht.

Das Gesetz der Einfachheit wirkt universell auf alle Genres der visuellen Kommunikation. Die Fotografie ist davon betroffen, die Plakatgestaltung, die Typografie von Flyern, Logos, Websites und anderem. Auch wer Texte schreibt, bemüht sich um Kürze, verschachtelte Sätze werden nicht geliebt. Das Gesetz der Einfachheit ist eng verwandt mit dem Figur-Grund-Gesetz aus der letzten Publisher-Ausgabe. Komplexe Bildaufbauten, die Fotografen heute so lieben, erzählen zwar ganze Geschichten, aber kein Mensch kann sie erkennen, geschweige denn lesen. Figur und Grund verschmelzen zu einer einzigen Komposition.

Plakatives Fotografieren wäre in der Ausbildung so wichtig, man kann es in keinem Lehrplan finden. Es verwundert nicht, wenn aktuelle Plakate, Anzeigen oder Flyer reihenweise durchfallen. Sie versuchen, möglichst viel zu erklären und vergessen dabei, dass Konsumenten nicht so funktionieren. Das Zuviel an visuellen Mitteln in der Anzeige führt nicht zum aufgeklärten Konsumenten, im Gegenteil, es führt zu Ablehnung. Empfinden wir nicht auch im Web eine Abscheu vor blinkenden Bannern und Werbung, die sich kaum vom redaktionellen Angebot unterscheiden? Weniger ist mehr.

Auch nach über 500 Jahren Buchdruckkunst ist das Wissen um Gestaltgesetze im Markt noch zu wenig bekannt. Je mehr Content-Management-Systeme hochautomatisiert Kommunikationsmittel herstellen, desto schlimmer sehen sie aus. Doch wer bringt dem Algorithmus bei, wie ein Bild oder eine Typografie auf der Anzeige wirkt? Die IT-Spezialisten? Nicht wirklich. ↑

Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG, ­visuelle Kommunikation, 8800 Thalwil. Der ­­Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als ­Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden, tätig, wo er beim Diplomlehrgang Fotografie Fotobuchgestaltung lehrt und an der Höheren Fachschule für Fotografie das ­Studienfach Design unterrichtet. ­

Kontakt: agenturtschi.ch, ­turtschi@agenturtschi.ch, Telefon +41 43 388 50 00.